Wie kaum ein anderer Sport ist der Kraftsport von zahlreichen Mythen geprägt, die sich in das kollektive Gedächtnis der Fitnessgemeinde eingebrannt zu haben scheinen und seit einer gefühlten Ewigkeit für Verwirrung unter den Trainierenden sorgen. Die Broscience der vergangenen Jahre, die von zum Teil fragwürdigen wissenschaftlichen Studien begleitet wurde, ist schuld daran, dass Kraftsportler auf dem gesamten Globus ihren Kohlenhydratkonsum exakt nach der Uhr ausrichten, der Kloake tonnenweise Eigelb zuführen und ihren Körper mit sechs bis acht Mahlzeiten pro Tag quälen, nur um ja nicht zu wenig Protein aufzunehmen. Glaubt ihr wirklich, dass der menschliche Organismus einem solchen schwarz-weißen Schubladendenken unterworfen ist? In diesem Artikel räumen wir mit 12 hartnäckigen Mythen auf, sodass du dich aus deinem dogmatischen Gefängnis befreien kannst und in der Folge an Lebensqualität gewinnst. 

1. Das anabole Fenster

Seit einer Ewigkeit wird uns suggeriert, dass sich unmittelbar nach der letzten absolvierten Wiederholung für 60 bis 90 Minuten ein magisches anaboles Fenster öffnet, in dem unser Körper nur so nach Nährstoffen lechzt und diese umgehend zur Reparatur beschädigter Zellstrukturen einsetzt. Die nach dem Training einsetzende Panik, die viele Athleten hastig nach einem Shake greifen oder eine mitgebrachte Tupperdose leeren lässt, ist allerdings wenig zielführend, denn das sogenannte anabole Fenster ist deutlich länger geöffnet, als man es uns weismachen will. Wie wissenschaftliche Untersuchungen belegten, ist sowohl die Stoffwechselrate als auch die Proteinsynthese bis zu 24 Stunden nach dem Training deutlich erhöht, sodass du in aller Ruhe nach Hause fahren kannst, um etwas zu essen, ohne dass sich dies nachteilig auf den Muskelaufbau auswirkt. 

2. Das gute alte Eigelb

Eigelb gilt in Fitnesskreisen aufgrund der enthaltenen Fette sowie des darin befindlichen Cholesterins fälschlicherweise schon seit Längerem als No-Go, weshalb es nicht verwunderlich ist, dass zahlreiche Sportler fast ausschließlich das Eiweiß zur Zubereitung von Speisen nutzen. In Anbetracht der Tatsache, dass das Eigelb jedoch wichtige Mikronährstoffe wie B-Vitamine, essenzielle Fettsäuren sowie hochwertigstes Protein enthält, wirkt die dem Vollei entgegengebrachte Ablehnung, vor allem vor dem Hintergrund, dass das Eiklar im Gegenzug kaum einen nennenswerten Nährwert liefert, beinahe grotesk. Darüber hinaus erhöht das im Eigelb enthaltene Cholesterin sowohl den LDL-, als auch den HDL-Cholesterinspielgel im Blut, sodass du auch hinsichtlich dieses Aspektes bedenkenlos ganze Eier zur Zubereitung von Speisen nutzen kannst. 

3. IIFYM

Das Konzept hinter dieser Ernährungsweise, den ernährungstechnischen Fokus auf die Abdeckung der Makronährstoffe zu richten, ist an sich simpel, wird jedoch von den Meisten als Freibrief für Fressattacken und den Konsum von Junkfood missverstanden. Im eigentlichen Sinne zielt das Konzept darauf ab, den Speiseplan abwechslungsreicher, weniger starr aber dennoch sauber zu gestalten, was selbstredend den Konsum von Obst, Gemüse, komplexen Kohlenhydraten und magerem Protein einschließt. Wer also denkt, seinen Ernährungsplan mit Pommes, Eiscreme und Wiener Würstchen ausgestalten zu können, ist schief gewickelt, denn essenzielle Mikronährstoffe wie Vitamine, Mineralien und Ballaststoffe kommen in diesem Kontext deutlich zu kurz. Wenn du dich gerade ertappt haben solltest, obliegt es dir, die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. 

4. Je mehr Mahlzeiten, desto besser?

In Bodybuildingkreisen hält sich dieses Gerücht bereits eine gefühlte Ewigkeit, doch einen wahrhaftigen Vorteil konnte der ständigen Nahrungsaufnahme wissenschaftlich nie bescheinigt werden. Vielmehr ist es so, dass sich der menschliche Körper im Laufe der Evolution zu einem wahren Anpassungswunder entwickelt hat, das sich in puncto Nahrungsaufnahme an beinahe jede Situation anpassen kann. Dementsprechend ist es deinem Körper völlig egal, ob du 6-mal, 3-mal oder gar nur 1-mal pro Tag isst, solange du deine Nährstoffbilanz erfüllst. Im Klartext bedeutet dies, dass du die Anzahl deiner Mahlzeiten so gestalten kannst, wie es am besten in deinen Tagesablauf passt.

5. Je härter deine Diät, desto härter bist du

Viele Trainierende glauben immer noch, dass eine saubere Ernährungsweise gleichbedeutend mit dem Verzicht auf Abwechslung ist und folglich ausschließlich kulinarische Köstlichkeiten, wie Reis, Pute und Brokkoli auf den Teller gehören. Es gibt Hunderte gesunder Lebensmittel, die deinen Speiseplan bereichern können und dich in der Folge nicht nur mit essenziellen Mikronährstoffen versorgen, sondern auch dein Durchhaltevermögen dramatisch erhöhen, indem du den Spaß am Essen zurückgewinnst.

6. Früchte ohne Ende

Dass Früchte jedweder Art nicht nur gut schmecken, sondern auch unzählige essenzielle Mikronährstoffe beinhalten, ist schon länger bekannt. Dies sollte jedoch nicht mit einem Freibrief für den unbegrenzten Obstkonsum verwechselt werden, da die enthaltene Fructose hauptsächlich in der Leber verstoffwechselt wird und diese lediglich 50 bis 60 Gramm Glykogen aufnehmen kann. Sind die Speicher voll, wird ein Teil der Fructose in Triglyzeride (also Fette) umgewandelt, anstatt vollständig in Form von Muskelglykogen eingelagert zu werden. Folglich sollte Obst in deiner täglichen Ernährung in jedem Fall in ausreichendem Maße vorkommen, übertreiben solltest du es allerdings nicht.

7. Kohlenhydrate werden ab 18 Uhr in Fett umgewandelt

In den letzten Jahren verging kein Tag, an dem nicht irgendwo in den Weiten des Internets oder in einem anderweitigen Printmedium ein Artikel zum Thema: Kohlenhydrate am Abend veröffentlicht wurde, der ganz klar davor warnte nach einer bestimmten Uhrzeit Carbs zu konsumieren. Um ehrlich zu sein, ist es deinem Körper völlig gleichgültig, wann du Kohlenhydrate zur dir nimmst, denn solange deine Energiebilanz ausgeglichen ist, wirst du kein Gramm Fett zulegen, da der Organismus die Kohlenhydrate ebenso wie Fette und Proteine verstoffwechselt.

8. Sojaprotein ist schlecht für Männer

Auch wenn Sojaprotein erwiesenermaßen die Aktivität der Östrogenrezeptoren steigert und im Gegenzug die der Androgenrezeptoren herunterfährt, geschieht dies in einem Umfang, der im Rahmen des normalen Konsums absolut zu vernachlässigen ist, denn es bedarf mindestens 60g Sojaprotein pro Tag, um messbare Veränderungen zu registrieren. Vielmehr ist Sojaprotein eine herausragende Quelle für Isoflavine sowie Lecithin. Darüber hinaus wird der sporadische Konsum von Sojaprotein mit der Reduzierung des Blutdrucks sowie des Herzinfarktrisikos in Verbindung gebracht.