Wer sich eine Weile im Fitness-Umfeld bewegt, der hat nicht nur bereits so manchen Trend kommen und gehen sehen, sondern auch am eigenen Leib miterlebt, dass so ziemlich jeder Makro- oder Mikronährstoff zu einer bestimmten Zeit schon einmal das Ziel von teil jahrelang andauernden Dämonisierungskampagnen geworden ist. In den 1970er-Jahren war es das Fett, in den späten 1990ern die Kohlenhydrate und heute sind es neben den Kohlenhydraten auch zunehmend tierische Proteine, die angeblich die Wurzel allen gesundheitlichen Übels begründen und sich damit einem ungerechtfertigten Hass ausgesetzt sehen. Diese On-Off-Beziehungen sind das Resultat zahlreicher wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Grabenkämpfe, die bestimmte Nährstoffe mit diversen gesundheitlichen Vor- und Nachteilen in Verbindung bringen und dabei bizarrerweise alle anderen externen Faktoren ausklammern. Was im Angesicht objektiver wissenschaftlicher Erkenntnisse zumindest im allgemeinen Bezug auf Kohlenhydrate, Fette und Proteine logisch erscheint, kann jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass der negative Einfluss des raffinierten Industriezuckers auf den Organismus zweifelsfrei belegt ist und dieser dementsprechend konsequent zu meiden ist, oder? Natürlich ist es nicht so einfach. Und warum das so ist, erfährst du im Rahmen dieses Artikels.

Was ist denn so schlimm am Zucker?

Gut, um zu erläutern, was zumindest oberflächlich betrachtet so fatal am Zuckerkonsum ist, sollten wir zunächst die in Form von zahlreichen Studien vorliegenden wirklich großen Geschütze der Ernährungs- und Gesundheitswissenschaft auffahren, die einen hohen Zuckerkonsum in einen eindeutigen Kausalzusammenhang mit Fettleibigkeit, Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie diversen Krebsarten bringen. Es ist also nicht verwunderlich, dass die ernährungstechnische Eliminierung des Zuckers von Seiten der meisten Fitness-Experten als die Ultima Ratio zur Verbesserung von Gesundheit und Körperkomposition propagiert wird. Diese zunächst logisch erscheinende Erkenntnis gerät aber bereits ins Wackeln, wenn wir uns einmal die Frage stellen, ob es tatsächlich der Zucker ist, der die schwerwiegenden Schäden an der Gesundheit unseres Organismus anrichtet, oder ob diese Effekte nicht doch primär auf die dauerhafte Aufnahme zu großer Kalorienmengen zurückzuführen sind.

Ein kleiner Ausflug in die Praxis

Nehmen wir einmal an, jemand hat ein durchschnittliches Essverhalten und seine auf fester Nahrung basierende Kalorienaufnahme hat zur Folge, dass diese Person ihr Körpergewicht konstant halten könnte. Nun trinkt diese Person täglich, ohne groß darüber nachzudenken, zwei Dosen eines Softdrinks die jeweils 40 bis 50 Gramm Zucker und damit 300 bis 400 Kilokalorien enthalten, die im Rahmen der Ernährung eigentlich nicht eingeplant sind. Wer ist also schuld daran, dass diese Person über mehrere Monate hinweg ordentlich zugelegt hat – der Zucker oder doch etwa der blauäugige Umgang mit Kalorien? Nichtsdestotrotz sollte dennoch nicht unter den Tisch fallen, dass die Kalorien aus Zucker aufgrund ihrer Mikronährstoffarmut bei weitem nicht so wertvoll sind, wie solche aus vollwertigen Lebensmitteln. Dies ist aber noch lange kein Grund dafür, Zucker als per se schädlich an den Pranger zu stellen und ihn gar als toxisch zu bezeichnen, wie es in einschlägigen Medien bisweilen Mode ist. Natürlich kann Zucker toxisch sein, ebenso wie jeder andere Stoff. Wie schon Paracelsus wusste, macht allein die Dosis das Gift, und das gilt sowohl für Alkohol, Vitamin C, Wasser und ja sogar Zucker.

Studien stützen Kritik am Zuckermythos

Eine im Jahr 2001 veröffentlichte Studie nahm sich der Frage an, welchen Einfluss der Zuckerkonsum auf den Fettbau im Rahmen einer kalorienreduzierten Diät hat. Im Zuge dieser Untersuchung verglich man den Fettverlust von zwei Vergleichsgruppen, die über einen Zeitraum von sechs Monaten nicht mehr als 2.000 Kilokalorien zu sich nehmen durfte. Der Unterschied zwischen beiden Gruppen bestand lediglich darin, dass es den Probanden der einen Gruppe erlaubt war, 50 Gramm Zucker pro Tag zu sich zu nehmen, während sich die Vergleichsgruppe mit nur 25 Gramm begnügen musste. Anders als es die Zuckerpropheten vorausgesagt hätten, beliefen sich die Differenzen der feststellbaren nach sechs Monaten lediglich auf einen statistisch nicht relevanten Wert von einem halben Kilogramm. Zu einem sehr ähnlichen Ergebnis kommt eine Untersuchung des International Journal of Obesity and Related Metabolic Disorders, die deutlich extremere Differenzen hinsichtlich des Zuckerkonsums als Untersuchungsmaßstab anlegte. Während eine Gruppe lediglich vier Prozent des täglichen Kalorienbedarfs aus Zucker beziehen durfte, wies man die anderen Probanden an, 43 Prozent ihres Energiebedarfs durch Zucker zu decken. Und was sollen wir sagen? Sogar die Verzehnfachung der Zuckeraufnahme bewirkte unter dem Einfluss einer sonst völlig gleich ausfallenden Ernährung keinen signifikanten Unterschied im Bezug auf den Fettabbau. Unter dem Strich unterstützen diese seriösen wissenschaftlichen Untersuchungen also eindeutig die These, dass unter anderem die zunehmende Fettleibigkeit vor allem auf die deutlich zu hohe Kalorienaufnahme zurückzuführen ist und nicht per se auf den Zucker.

Der Unterschied zwischen Athleten und Ottonormalverbrauchern

Warum dennoch ein großer Teil der veröffentlichten Studien immer wieder Zusammenhänge zwischen dem Zuckerkonsum und der Entstehung von Fettleibigkeit herstellt, liegt unter anderem auch daran, dass diese in der Regel auch mit tendenziell übergewichtigen Personen und nicht mit aktiven Freizeitsportlern oder insgesamt einer repräsentativen Testgruppe durchgeführt werden. Welchen Einfluss diese einseitige Gestaltung von Testgruppen auf Studienresultate haben kann, lässt sich erkennen, wenn wir uns vor Augen führen, dass gerade stark übergewichtige Menschen eine deutlich niedrigere Glucosetoleranz aufweise als trainierte Athleten, was sich selbstverständlich auch auf die Art und Effektivität der Verstoffwechslung von Zucker auswirkt. Unter dem Strich ist dies also ein weiterer Fakt, der dafür spricht, dass der Zuckerkonsum bei den meisten Menschen unter der Voraussetzung einer kontrollierten Kalorienaufnahme keinen signifikanten Einfluss auf die Körperkomposition hat.

Ein wenig süße Wissenschaft

Natürlich ist die Körperkomposition nicht der einzige Aspekt, der unter dem Gesichtspunkt des Zuckerkonsums untersucht wurde, denn auch der Blutdruck, die Blutfettwerte, der Cholesterinspiegel oder die Konzentration an Entzündungsmarkern wurden nur allzu gerne mit der Zuckeraufnahme in Verbindung gebracht. Um diesen Vermutungen auf den Grund zu gehen, führte man Untersuchungen durch, im Kontext derer abermals Testgruppen mit der Durchführung von Diäten beauftragt wurden, die unter der Ceteris-Paribus-Annahme jeweils einen hohen und niedrigen Zuckeranteil aufweisen sollten. Und, was sollen wir sagen? Unter dem Strich waren keine nennenswerten Unterschiede der einschlägigen Gesundheitsfaktoren messbar. Eine weitere Untersuchung mit ähnlichem Aufbau förderte gar die Erkenntnis zutage, dass im Rahmen einer sechs Wochen andauernden Low-Carb-Diät nicht mehr Fett verbrannt wird, als im Fall einer nährstofftechnisch ausgeglichenen Diät. Und damit noch nicht genug, denn zudem gestaltete sich die Konzentration der Entzündungsmarker im Fall der ausgewogenen Diät nochmals deutlich niedriger, was die Weltanschauung einiger Menschen durchaus ins Wanken bringen dürfte.

Führen wir die Fäden zusammen

Nicht zuletzt durch die beinahe religiöse Indoktrination, dass Kohlenhydrate und insbesondere Zucker einem gesunden Lebensstil entgegenstreben und ausschließlich negative Einflüsse auf den Organismus hätten, ist es nur allzu verständlich, wenn so mancher Freizeitsportler uns an dieser Stelle der Ernährungs-Ketzerei anklagen möchte. Es ist jedoch ein Fakt, dass die objektiven Daten diesen scheinbar in Stein gemeißelten Mythos deutlich abschwächen und klar belegen, dass auch Zucker Bestandteil einer gesunden Ernährung sein kann, die sowohl den Muskelaufbau als auch den Fettabbau bestmöglich unterstützt. Es liegt in der Natur der Sache, dass sich ballaststoffreiche Nahrungsmittel gerade im Umfeld einer sehr starken Kalorienrestriktion wesentlich besser eignen, da sie erheblich besser sättigen und damit stark zuckerhaltige Lebensmittel damit schon aus diesem Grund ausscheiden. Im Gegenzug spricht allerdings nichts dagegen, wenn du im Zuge des Ausdauersports oder im Rahmen der Offseason auch auf zuckerhaltige Produkte zurückgreifst, sofern du sowohl deine Makronährstoffverteilung als auch die Kalorienbilanz im Auge behältst. Am Ende des Tages besteht also kein Grund, den Zucker grundsätzlich zu meiden wie der Teufel das Weihwasser.